(1986)Depeche Mode

Ich will keine Marionette sein“

Nach über 20 Jahren als Sänger von Depeche Mode wagt Dave Gahan den Schritt in eine neue Richtung. Anstatt die Songs von Martin Gore zu interpretieren, veröffentlicht der charismatische Frontmann der britischen Kultgruppe am Montag die Single „Dirty Sticky Floors“ und am 2. Juni sein erstes Solo-Album „Paper Monsters“ – eine Mischung aus Trip Hop, Electro, Blues und Rock'n` Roll. OZelot traf Dave in Hamburg.

   OZelot: Wie fühlst du dich, ein Album komplett ohne Depeche Mode zu machen?

   Dave Gahan: Sehr gut. Bei Depeche Mode singe ich zwar meistens, aber eigentlich interpretiere ich nur Martins Songs. In einer Band muss man sich immer unterordnen und kann nicht seine Inspirationen verarbeiten. Diesmal war alles anders. Die Songs wurden nicht nur von mir gesungen, sie sind auch von mir. Ich fühle mich wirklich gut, diesen Schritt gewagt zu haben.

   OZelot: Wann entstanden die Songs?

   Dave: Ich komponierte über einen langen Zeitraum hinweg. Los ging es 1998 nach der „Singles“-Tour mit Depeche Mode. Dabei standen für mich die Ideen hinter den Songs im Vordergrund. Ich wollte nicht über die technischen Details nachdenken. Das sollte ein Produzent übernehmen. Ich wollte einfach Songs schreiben. Die meisten davon entstanden im Sommer 1999, einige aber auch ein paar Monate später mit dem Beginn der „Exciter“-Produktion.

   OZelot: Wer außer dir hat noch am Album mitgewirkt?

   Dave: Zu dieser Zeit gab es Menschen, die mich ermutigt haben, selbst Songs zu schreiben. Ein Freund meinte, es wäre eine gute Idee, Knox Chandler zu treffen. Ich kannte ihn, wusste, dass er schon mit Siouxsie & The Banshees oder mit den Creatures gearbeitet hatte. Wir begaben uns in sein Studio und probierten einfach verschiedene Ideen aus. Als Produzent konnten wir Ken Thomas gewinnen. Er hatte wohl ein gutes Gefühl, denn er arbeitet gewöhnlich nur an Projekten, von denen er überzeugt ist.

   OZelot: Einige von deinen Songs sind sehr sanft. Warum?

   Dave: Lange Zeit war ich sehr verschlossen, aber manchmal ist es im Leben besser, die Leute wissen zu lassen, wie man sich fühlt. Nur so kann man auf Hilfe hoffen. Trotzdem denke ich, dass „Paper Monsters“ Optimismus und Hoffnung ausstrahlt, auch wenn es eine Zeit reflektiert, in der es mir oft nicht gut ging. Ich bin sehr stolz auf das Album. Es hat mir gezeigt, wieviel in mir steckt und das ich auch allein sehr viel erreichen kann.

   OZelot: Hast du auch kommerzielle Aspekte bei der Produktion berücksichtigt?

   Dave: Bei Depeche Mode wurden wir das auch oft gefragt. Natürlich möchte man mit seiner Musik so viele Menschen wie möglich erreichen, aber das steht nicht im Vordergrund. Wir waren voller Enthusiasmus dabei und machten einfach die Musik, die wir machen wollten. Bei „Paper Monsters“ ging es darum, so viele verschiedene Dinge auszuprobieren wie möglich. Ob es sich am Ende gut anhört, war bei der Entstehung nicht wichtig.

   OZelot: Was sagen deine Band-Kollegen von Depeche Mode dazu? Was ist mit Alan Wilder?

   Dave: Zu Alan habe ich schon länger keinen Kontakt mehr, aber Andy kam vorbei, als wir „Paper Monsters“ in London gemixt haben. Er hörte die Rohfassungen der Songs und war wirklich begeistert. Bei „Dirty Sticky Floors“ meinte er sofort, es sei eine klassische Single. Von Martin habe ich noch keine Meinung gehört.

   OZelot: Siehst du Martins Solo-Album als Konkurrenz?

   Dave: Nein.

   OZelot: Du gehst auch auf Solo-Tour. Was können Konzertbesucher erwarten?

   Dave: Mich und eine Band. In erster Linie singe ich natürlich die Songs von meinem Album. Aber es werden auch drei, vier Songs von Depeche Mode im Programm sein. Wir sind da nicht so festgelegt und tauschen auch einige Songs aus.

   OZelot: Kannst du dir ein Leben ohne Depeche Mode vorstellen?

   Dave: Ja sicher, aber das ist eine schwierige Frage. Das hat auch überhaupt nichts damit zu tun, wie erfolgreich „Paper Monsters“ sein wird. Ich war über 20 Jahre bei Depeche Mode und möchte mich weiter entwickeln. Ich möchte nicht nur die Marionette von Martin sein, sondern eigene Ideen verwirklichen. Momentan weiß ich noch nicht, wie es mit Depeche Mode weiter gehen wird. Auf jeden Fall werde ich neue Songs schreiben, ob nun für Depeche Mode oder mein nächstes Solo-Album.

Interview: H. MEYER

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